Leif Ove Andsnes

Die Sentenz ist vielfach zitiert, hat aber bis zum heutigen Tage weder von ihrem Charme noch von ihrer Richtigkeit auch nur ein Jota eingebüßt. »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.» Was Friedrich Schiller anno 1795 in den »Briefen über die ästhetische Erziehung« als edukative Utopie formulierte, darf unangefochten sowohl für die Kunst als auch für das Leben seine Gültigkeit behaupten. Im Spiel kommt der Mensch zu sich, hier kann er jene Leichtigkeit ausprobieren, die der Alltag nur allzu selten bereithält.

Auch György Kurtág mag von dieser Idee angetan gewesen sein, als er vor 50 Jahren damit begann, kleine Klavierstücke zu komponieren, sogenannte «Játékok« (»Spiele«), die ihm als pädagogisches »Hilfsmittel« tauglich erschienen. Denn nicht nur waren diese Miniaturen kein Stoff für Virtuosen; darüber hinaus konnten die Kinderauf dem Klavier jene Unbefangenheit, die sie in anderen Kontexten kaum je erfuhren, in Klänge umsetzen. Neun Bände erschienen, sieben davon zweihändig, zwei mit vierhändigen Stücken. Und sSo erfolgreich war dieses (in einer Aufnahme aus dem Jahr 1997 mit dem ungarischen Komponisten und seiner Ehefrau Márta Kurtág in Auszügen dokumentierte) Projekt, dass Kurtág es bis ins hohe Alter weiterverfolgte und auf neun Bände anwachsen ließ.

Wenn nun Leif Ove Andsnes gemeinsam mit Bertrand Chamayou Auszüge aus Kurtágs «Játékok» spielt, ist das also nicht nur eine Reverenz an einen der bedeutenden Komponisten unserer Zeit, sondern ein Stück weit auch Kindheitserinnerung. Schon als Jugendlicher hat sich Andsnes intensiv mit dem Repertoire des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Was seine Interpretationen auszeichnet, ist eine Komplexität, die den Werken ihre Eigenheiten belässt und sie dennoch in die Neuzeit zu übersetzen weiß. So hat er insbesondere den Klavierwerken osteuropäischer Komponisten wie Janáček, Béla Bartók oder eben auch Kurtág immer wieder zu ihrer Geltung verholfen. Deren zum Teil etwas spröde, schroff-kantige Musiksprache liegt ihm mit ihrer Verbindung aus klangmalerischen und streng rhetorischen Elementen, mit dem engen (und nicht immer reibungslosen) Beieinander dieser Gegensätze. Und auch das Diskontinuierliche, Episodische dieser Musik vermag er mit seinem fast streng zu nennenden, nahezu pedallosen Anschlag herauszubilden. Mag Schönheit die Welt retten (wie der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski einst hoffend als humanistisches Ideal postulierte), so hat in dieser Welt durchaus auch das Nicht-Schöne, das Ungestüme, das Asketisch-Aphoristische seinen Platz.

Wer nun glaubt, Leif Ove Andsnes entspräche deswegen dem Klischee des distanzierten Nordlichts, hat ihn wohl kaum jemals im Konzert erlebt. Das Feuer Beethovens etwa vermag er ebenso gültig in Klänge umzusetzen wie die genuin Schubertsche Poesie des Augenblicks. Wobei auch hier die Ambivalenzen in den Klavierwerken deutlich zu Tage treten, insbesondere Schuberts abrupte Wechsel zwischen blühendem Melos und zerbrochener oder zerknickter Linie. Schon deswegen darf man sich auf jene Stücke aus Schuberts Schmuckkästchen freuen, die dieser für vier Hände komponiert hat (das A-Dur-Rondo, das a-Moll-Allegro und die Fuge in e-Moll), und die Leif Ove Andsnes und sein Klavierpartner Bertrand Chamayou beim Festival zu Gehör bringen werden. Und dies aus dem Geiste Schillers, denn: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.»

Jürgen Otten

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Mittwoch, 26. Juni 2024 | 20:00 Uhr
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