Laudatio auf Anne-Sophie Mutter

2. Juni 2023

Am Freitag, 2. Juni 2023 wird Anne-Sophie Mutter von Intendant Prof. Franz Xaver Ohnesorg mit dem Preis des Klavier-Festivals Ruhr 2023 ausgezeichnet. Die Laudatio ihres künstlerischen Weggefährten, des Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann, drucken wir unten ab. 

Richard Strauss, gebeten, eine Laudatio auf die Wiener Philharmoniker zu halten, reagierte darauf mit dem Satz: Die Wiener Philharmoniker loben, hieße Geigen nach Wien tragen. Auf Anne-Sophie Mutter abgewandelt müßte dieser Satz heißen: Anne-Sophie Mutter loben, hieße Stradivaris in den Geigen-Olymp tragen!

Ihre Karriere von den Anfängen mit Karajan bis zum heutigen Tag ist singulär. Über einen so langen Zeitraum auf spektakulär höchstem Niveau zu konzertieren, ist es auch. Doch ihre Interessen und ihr Engagement gehen weit über ihre eigene Solistentätigkeit hinaus, welche sie mit den besten Dirigenten und Orchestern zusammengebracht hat. Dass sie sich immer für die Musik unserer Zeit interessiert und eingesetzt hat, ist längst Legende, aber keineswegs selbstverständlich. Sie könnte sich ja, wie viele Kolleginnen und Kollegen, bequem ins gemachte Bett der Tradition legen und lediglich die großen Violinkonzerte und Sonaten der Vergangenheit spielen, ihr Publikum wäre gleichermaßen beglückt. Doch Anne-Sophie Mutters Blick auf die Musik ist grundlegend anders: Auch die großen Werke der Vergangenheit wollen und sollen immer anders und neu beleuchtet, gleichsam neu erfunden werden. Erst jüngst berichtete sie von einem Fan, der entrüstet zu ihr hinter die Bühne kam, weil sie Vivaldis Vier Jahreszeiten live im Konzert ganz anders gespielt hätte als auf CD. Anne-Sophie Mutter erwiderte, ein schöneres Kompliment könne man ihr kaum machen. Allein aus dieser kleinen Anekdote spricht ihre ungebrochene Neugierde, die Musik im Moment entstehen zu lassen.

Den Gustav Mahler zugeschriebenen Satz „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitertragen der Glut“ würde auch sie rückhaltlos unterschreiben. Bis zum heutigen Tag gibt sie immer wieder neue Werke in Auftrag und ermöglicht so – ganz in Gustav Mahlers Sinne – Tradition, das Weitertragen der Glut. Und schreibt somit Musikgeschichte fort. Die bedeutendsten Komponistinnen und Komponisten haben für sie geschrieben, herausragende bleibende Werke sind dadurch entstanden. Sie selbst äußert hierzu, sie brauche das, um sich als Künstlerin zu spüren, um künstlerisch am Leben zu bleiben. Und: Die nach außen so perfekte und strahlende Künstlerin spricht dabei offen über ihren eigenen sense of limitation, ihre Verletzlichkeit und Nacktheit gegenüber den immer wieder unlösbar scheinenden Ansprüchen und Herausforderungen der neuen Werke an sie als Künstlerin, Geigerin und Mensch. Es schwingt kein Gran von Koketterie in dieser Feststellung mit, es will mir eher scheinen, als werde hier ein Kern ihres Künstlertums berührt, der in ihrem öffentlich so glänzenden Bild zu wenig gewürdigt wird: das sich immer wieder aufs Neue Aussetzen gegenüber neuen Werken und geistig-psychischen wie physisch-geigerischen Herausforderungen.

In diesem Kontext ist auch ihr nachdrücklicher und vor allem nachhaltiger Einsatz für junge Musikerinnen und Musiker zu sehen. Mit ihrer Anne-Sophie Mutter-Stiftung unterstützt sie seit vielen Jahren hochbegabte Künstlerinnen und Künstler finanziell, künstlerisch, beim Kauf wertvoller Instrumente oder der Beauftragung neuer Kompositionen, die eigens für die jungen Interpretinnen und Interpreten geschrieben werden. Dass sie dabei und darüber hinaus einen ausgesprochenen ‚Riecher‘, einen Instinkt für Qualität und Zukunftspotential dieser jungen Menschen hat, kommt noch hinzu: auffallend viele dieser jungen Menschen haben – nicht zuletzt dank ihrer Entdeckerfreude und ihrer Förderung – ihren Weg im internationalen Musikleben gemacht.

In ihrem Wesen ist sie von mitreißender und ansteckender Energie und Lebensfreude, ihre Interessen gehen weit über die Musik hinaus, gehen vom Kino bis zur Literatur und der Malerei. Sie hat sich ein kindliches Staunen und Staunen-Können bewahrt. Es gibt nicht viele Künstler, auch nicht ihres Ranges, denen ein Museumsbesuch mindestens so wichtig ist wie ein Konzertbesuch. Und sie nutzt im besten Sinne immer wieder ihre Stellung im Musikleben, um sich für die Bedürftigen, die Schwachen, die nicht so Privilegierten einzusetzen. Ihr Wort wird gehört, die Leute glauben ihr, ihrer Kompetenz und Integrität. Allüren- und angstfrei adressierte sie etwa die riesigen sozialen und finanziellen Probleme gerade der freischaffenden Künstler und Musiker in der Corona-Zeit, als wir Musiker durch die einschneidenden politischen Maßnahmen wie Lockdowns etc. zum Nichtstun verdammt waren. Auch hinter den Kulissen setzte sie sich immer wieder bei den maßgeblichen Politikerinnen und Politikern für die Künste und die von den Maßnahmen betroffenen Menschen ein.

Anlässlich ihres 15. Auftritts beim Klavier-Festival Ruhr erhält sie nun den Preis des Festivals für ihre Treue zum Festival und für ihre Selbstlosigkeit. Als Anne-Sophie Mutter im Frühjahr 2022 gemeinsam mit Franz Xaver Ohnesorg die Initiative ergriff, zugunsten ukrainischer Kinder ein Benefizkonzert zu gestalten, war sie spontan dazu bereit, Beethovens Tripel-Konzert zu spielen.

Sie erhält diesen Preis u.a. auch für ihren vorbildlichen Einsatz für die Nachwuchsförderung. Dass der Preis an sie geht, macht auch insofern besonderen Sinn, weil damit die Vergabe eines Stipendiums an einen jungen Pianisten oder eine junge Pianistin verbunden ist, die oder der dann im folgenden Jahr beim Klavier-Festival Ruhr sein bzw. ihr Debüt gibt. Auch hier: nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitertragen des Feuers.

 

Liebe Anne-Sophie: Du hast diesen Preis so sehr verdient!

 

So schön, dass es Dich, genau so wie Du bist, gibt.

 

Herzlichen Glückwunsch!

Mai 2023

Jörg Widmann




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