Über das Thema ließe sich problemlos ein ganzes Buch schreiben: Pianisten und ihre Instrumente. Empfindsame Naturen wie beispielsweise Vladimir Horowitz, Arturo Benedetti Michelangeli oder Glenn Gould reisten stets mit einem eigenen Flügel und dem dazugehörigen Techniker um den Globus. Für sie war das Instrument weit mehr als ein Gegenstand, er war beseelte Materie. Andere wiederum ließen sich nie von dem Vorgefundenen irritieren. Für diese Tastenkünstler kam es weniger auf das schwarze Ungetüm an, das mit gebleckten Zähnen in einem Saal wartete; sie vertrauten einzig und allein ihrem Können. Legendär ist in diesem Zusammenhang die leicht spöttische Sottise eines Detmolder Klavierprofessors, der – nachdem er während eines Konzertexamens auf einem altbackenen Klavier das Orchester in Brahms’ zweitem Klavierkonzert »imitiert» und dabei dem tapferen Examens-Kandidaten, der auf einem funkelnagelneuen Steinway musizierte, die Show gestohlen hatte – zu dem Urteil gelangte, es gäbe keine schlechten Instrumente, sondern nur schlechte Pianisten.
Die Musikwelt weiß seit Jahrzehnten, dass Sir András Schiff zu den besten Vertretern der Zunft gehört. Die Wahl des Instruments spielt für ihn nach wie vor eine wichtige Rolle; beobachten konnte man das mehrfach in den Stunden vor einem Konzert, als Schiff mit Argusaugen die Arbeit des Klavierstimmers beobachtete und, so nötig, eben auch mit strengen Kommentaren versah. Damit folgt er seinem künstlerischen Imperativ, der diesen Pianisten vor vielen anderen auszeichnet: dem Hang zur Perfektion.
Nun weiß auch András Schiff, dass es Perfektion im Grunde nicht geben kann. Musik ist, sobald sie erklingt, keine Wissenschaft mehr, sie ist subjektiv, nicht messbar. Dennoch strebt der ungarische Pianist, der in seinem Heimatland aus politischen Gründen seit vielen Jahren nicht mehr auftritt, nach der größtmöglichen Annäherung an die perfekte nachschöpferische »Tat« und sieht sich ganz und gar als Diener des Werks. Und auch das Instrument begreift dieser Künstler eher als Werkzeug. Schiffs Interpretationen sind über ihre auratischen Energien hinaus immer auch Bekenntnis zur Arbeit an, mit der und für die Kunst. Glamouröse Attitüden oder Geschmäcklerei jedweder Couleur kommen darin nicht vor. Schiffs Postulat lautet entschieden: Heilig sei die Kunst, heilig sei der Ernst des Interpreten. Für ihn ist dieser Interpret in erster Linie ein Medium; er ist jemand, der den Willen des Komponisten mit Tönen und Klängen zum Ausdruck bringt.
Schon Joachim Kaiser würdigte den jungen Ungarn, als dieser noch auf dem Weg zu internationaler Reputation war: »Er besitzt eine lockere Gleichmäßigkeit und eine klare Artikulationskraft. Sein Musizieren kann von faszinierender Beredsamkeit sein.« Mit ebendieser faszinierenden Beredsamkeit hat András Schiff insbesondere die Werke von Bach, Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert durchdrungen. Gepaart ist sie mit einem Hang zum Introvertiert-Sinnierenden, der den Rausch meidet. Für Rauschzustände ist die Kunst, so Schiffs feste Überzeugung, nicht zuständig; diese liegen, wenn überhaupt, in der Sphäre des Metaphysischen, die er aber zu betreten eigentlich nie gewillt ist. Ihn interessiert einzig das Notierte. Und seine Aufgabe als Interpret sieht er in erster Linie darin, dieses Notierte nachzuschöpfen. Er sucht den Notentext mit stets kritisch hinterfragender Distanz zu durchdringen. Aber er vertraut ihm dabei auch (freilich nicht blindlings), taucht mit ihm ab in eine andere Tiefe. Alfred Brendel, mit dem Schiff die Liebe zu Schubert, Haydn und Beethoven teilt, hat das einmal sehr schön in Worte gefasst: Der Interpret müsse vor und hinter dem Werk stehen. Vor ihm stehe er wie ein stolzer Ritter, um es gegen die Anwürfe der Welt zu verteidigen, die nur das Wahre, Schöne und Gute zu sehen wünscht, denn es gebe in der Kunst nie nur diese Trias. Gebe es sie, sei es keine Kunst; Kunst sei immer durchbrochener Spiegel, Widerstand gegen sich selbst. Zugleich müsse der Interpret hinter dem Kunstwerk stehen, um es nicht an sich selbst auszuliefern, um seinen Inhalt gleichsam als Beglaubigungsschreiben in die Welt zu setzen. Hört man András Schiff bei seinen »Erzählungen« zu, dann spürt man diese Ambiguität, diesen unbedingten Willen zur Auseinandersetzung. Und Schiff ist der Ritter mit der Lanze, die dieses Gefecht austragen muss, damit er zu einem guten Resultat gelangt.
An dieser Stelle kommt das Instrument wieder zu seinem Recht. Für seine beiden Konzerte beim Klavier-Festival Ruhr wird András Schiff in Begleitung zweier besonderer »Ungetüme« anreisen. Werke seiner Hausgötter Beethoven und Schubert wird er auf einem Instrument von Franz Brodmann aus dem Jahr 1821 (also aus der Entstehungszeit der Sonaten) spielen; für die romantischen Kompositionen von Schumann, Mendelssohn und Brahms versichert er sich dann der »Dienste» eines Blüthner-Flügels aus dem 19. Jahrhundert. Authentizität ist ein hohes Wort. Doch hier ist sie verbürgt – durch den genuinen Klang der Instrumente und durch András Schiff selbst.
Damit aber nicht genug der Besonderheiten, denn András Schiff wirkt beim Festival auch als Nachwuchsförderer: Um drei Stipendiaten der von ihm ins Leben gerufenen «Buildung Bridges«-Stiftung die Möglichkeit zu einem Auftritt zu geben, führt er durch ein drittes Konzert, in dem seine „protegés“ Julius Asal, Martina Consonni und Tomoki Park Proben ihres Könnens zeigen.
Jürgen Otten
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