Bertrand Chamayou

Jenseits der Bühne gibt sich Bertrand Chamayou unauffällig. Meist trägt er schlichte Pullover in schwarz oder grau, dazu einfache Stoffhosen. Seine Frisur ist dezent, kurze Haare, manchmal minimal gegelt. Aus kastanienbraunen Augen blickt er sein Gegenüber an, die Lippen leicht geschürzt, die weiche Stirn gekräuselt. Ist da eine gewisse Scheu zu entdecken? Oder eher tiefe Nachdenklichkeit?

Untrüglich ist die Ernsthaftigkeit, mit der dieser Mensch Leben und Kunst ergründet. Insbesondere wenn es um Musik geht, die ihn seit frühester Kindheit begleitet und die sein Weg wurde, sich mitzuteilen, auch und gerade jenseits von Worten.

Eine Komposition des Mystikers Olivier Messiaen war es, die bei ihm im Alter von gerade einmal neun Jahren ein Erweckungserlebnis auslöste. Chamayou erinnert sich, wie er andächtig dem Klavierzyklus Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus lauschte: „Diese Entdeckung war eine Offenbarung, die meine Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Abgesehen davon, dass ich meine Zeit damit verbrachte, mich im Komponieren von Messiaens Stil zu versuchen, glaube ich, dass die Regards, ihre pianistische Handschrift und ihre grenzenlose Vorstellungswelt, meinen Klang und meine Auffassung als Interpret beeinflusst haben.“ Ob es an der frühkindlichen Prägung liegt oder an einer geheimnisvollen Seelenverwandtschaft, es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Messiaen und Chamayou. Die Liebe zur Natur etwa, gepaart mit Ehrfurcht vor ihren unergründlichen Geheimnissen. Die Faszination für Klangfarben und Schattierungen, der Mut zu grellen Kontrasten.

Bertrand Chamayou wuchs in Toulouse auf, einer südfranzösischen Metropole unweit der Pyrenäen. Urbane Betriebsamkeit birgt diese Stadt ebenso wie meditative Stille, mit dem Fahrrad konnte Chamayou der Hektik rasch entfliehen. Ein kleiner Pfad führte von seinem Haus hinunter zum Canal du Midi, wo im Schatten uralter Eichenalleen Lastenkähne tuckerten: Oft sei er von dort aus in die Hügel gefahren, “wo es alle Sorten von Sonnenblumen gab.“ Der Kanal verbindet Toulouse im Osten mit dem Mittelmeer und im Westen als Canal de Garonne mit dem Atlantik. Eine stille Synapse zwischen der Rauheit des Ozeans und mediterraner Lebenslust – eine herrliche Metapher für das Spiel Bertrand Chamayous. Es besitzt ein weiches, manchmal gar zärtliches Zentrum, wird jedoch belebt von einer flirrenden Vielfalt an Stimmungen. Da gibt es Arpeggien in allen denkbaren Erscheinungen – als grollende Akkordbrechung, als gesprenkelte Farbtupfer, als gleißende Lichtpunkte, als Hagelsturm. Wie ein Fährmann schippert Bertrand Chamayou mühelos und zielstrebig zwischen allem hin und her.

Neben Olivier Messiaen tauchen auf den Programmen Chamayous immer wieder die Namen Franz Liszt, Maurice Ravel und Camille Saint-Saëns auf. Auffällig daran ist, dass sie alle für ihre farbenreiche Klangsprache berühmt sind und selbst gefeierte Klaviervirtuosen waren. Wer ihre großen Werke überzeugend interpretieren möchte, muss also auch technische Meisterschaft mitbringen. Das tut Bertrand Chamayou zweifelsohne, geradezu mühelos fliegen seine Finger über die Klaviatur, der Vergleich zu anderen Einspielungen verdeutlicht, dass solche Leichtigkeit selbst unter Virtuosen alles andere als selbstverständlich ist. Typisch Chamayou ist wiederum, dass er sein Handwerk zwar schätzt, aber nicht als Selbstzweck feiern möchte: „Technik ist nur das physikalische Mittel, um Ideen realisieren können.“

Inspiration findet Chamayou dabei nicht nur in der Natur, sondern auch in der Kontemplation. „Ich leide an Schlaflosigkeit“, schreibt er im Booklet zu seinem Album „GoodNight!“, auf dem er Wiegenlieder und Nachtgesänge eingespielt hat, von Liszt bis Lachenmann. „Ich gestehe“, fährt er im Text überraschend fort, „dass ich im Grunde genommen eine Freude daran habe. Jeden Abend gehe nur widerwillig zu Bett und kämpfe (bewusst) gegen die Wirkung der Schwerkraft, die meine Augenlider überkommt.“ Warum? Bertrand Chamayou liebt den Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit. Sein Spiel öffnet ebenfalls eine solche Zwischenwelt. Sie birgt Träume und Abenteuer, erzählt von Visionen und fremden Orten – und bringt darin zugleich die Kraft, die Wirklichkeit in Schwingung zu versetzen.

Thilo Braun

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