Yulianna Avdeeva

Den Titel einer Großmeisterin tragen in der Welt des Schachs nur wenige. Wer auf dem schwarz-weißen Spielfeld triumphieren will, muss früh anfangen, unermüdlich trainieren, Turniere spielen und Preise sammeln. Yulianna Avdeeva ist fasziniert vom königlichen Spiel: In ihrer Freizeit schaut sie sich Turniere an, analysiert Partien des Schachweltmeisters und bewegt die Figuren selbst über das Feld. Das Grübeln über die beste Eröffnung, den nächsten Zug – beglückend für die aus Russland stammende Pianistin.

Auf ihrem eigenen schwarz-weißen Spielfeld ist sie längst eine Großmeisterin. Von Kindesbeinen an hat sie trainiert, sich durch die Schallplattensammlung ihrer Eltern gewühlt, Unterricht genommen an der renommierten Gnessin-Musikschule in Moskau, später in Zürich studiert. 2010 errang sie dann im Alter von 25 Jahren die höchste Auszeichnung ihres Fachs, den Preis des Internationalen Chopin-Wettbewerbs in Warschau. Ein Schlüssel sei für sie gewesen, sich nicht nur mit dem musikalischen Werk zu beschäftigen und wie wild zu üben, sondern auch in Chopins Welt einzutauchen: Welche Bücher hat er gelesen, welche Gemälde geliebt, mit welchen Zeitgenossen viel Zeit verbracht? Vor dem Wettbewerb stromerte Avdeeva durch die Straßen von Warschau, ließ sich inspirieren von der Atmosphäre und den Klängen, die durch die Straßen in Chopins Heimatstadt schwebten.

Denn neben strategischem Geschick und der besten Ausbildung besitzt Yulianna Avdeeva das empfindsame Herz einer Poetin. Mit zartfühlenden Fingerspitzen bringt sie die Essenz der Musik ans Tageslicht, diese fragil wirkende Person mit dem zurückhaltenden Lachen und den braunen Rehaugen. „Auf dem Flügel kann man die kleinsten Bewegungen der Seele ausdrücken, viel genauer als mit Worten“, sagt die Pianistin.

Dennoch kommuniziert sie gerne über das, was sie da tut: In den ersten Jahren der Pandemie startete sie ein Videoprojekt über das Wohltemperierte Klavier von Johann Sebastian Bach. Aus ihrem Wohnzimmer, aus Überäumen und Backstage-Bereichen sendete sie kleine Botschaften, in denen sie mit ihrer tiefen, rauen Stimme über Bach spricht, Fugen und Präludien analysiert. Sie hält die Noten in die Kamera, präsentiert verpixelte Bilder und sinniert intensiv über die Fragen der Community.

Auch die Idee zu dem Programm, das sie nun beim Klavier-Festival Ruhr präsentiert, ist in der Corona-Zeit entstanden. “Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine Zeit erlebt, in der alle Menschen auf der ganzen Welt von einem Unglück betroffen waren. Das hat mich zum Nachdenken bewegt, über die Bedeutung der Musik und der Kunst im Allgemeinen. Was bedeutet sie uns? Warum gibt es sie? Und was kann sie uns geben?”

Unter dem Titel “Resilience” versammelte die Pianistin Werke von Komponisten, die unter unvorstellbaren Bedingungen Musik geschrieben haben, und denen die Musik die Kraft gab, weiterzuleben. So beispielsweise von Wladislaw Szpilman, einem polnischen Komponisten und Pianisten, der im Nationalsozialismus verfolgt wurde, das Warschauer Ghetto überlebte und weltweit berühmt wurde durch seine Tagebücher, die der Regisseur Roman Polański 2002 in “Der Pianist” verfilmte. Seine Suite “The life of the machines” schrieb Szpilman im Jahr 1933, die Noten gingen in den Wirren des Krieges verloren. Erst Jahrzehnte später wurde die komplette Partitur wiedergefunden – ein jazzig anmutendes, kreatives Stück, das den Zeitgeist der Industrialisierung atmet und Avdeeva die Möglichkeit gibt, ihre schwindelerregende Virtuosität und Präzision unter Beweis zu stellen.

Ihren warmen Klang, aber auch die grellen, harten und kraftvollen Facetten zeigt Yulianna Avdeeva in der achten Klaviersonate von Sergej Prokofiew. Und dann natürlich bei Chopin, dessen Melodien sie singen lässt, dessen tänzerisch eleganter Musik sie sich verbunden fühlt: “Es ist, als wäre er ein Begleiter, der immer da ist. Chopin steht für mich im Zentrum – ich kehre immer wieder zu ihm zurück.”

Marie König

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